Die TARGET2/T2S-Konsolidierung stellt Banken und Zentralbanken vor große fachliche und technische Herausforderungen. Warum die Umstellung in einem „Big Bang“ ohne Möglichkeit eines sinnvollen Fall-Backs geschieht, wird unter Punkt 3 Herausforderungen näher beschrieben. Die Zeitpläne sind trotz der Verschiebung auf den 20. März 2023 knapp und ambitioniert. Eine fehlerhafte TARGET2/T2S-Konsolidierung kann dazu führen, dass einzelne Banken, ganze Länder oder gar der gesamte Eurozahlungsverkehr zum Erliegen kommt.

1. Was ist TARGET2 bzw. T2 

Seit dem 19. Mai 2008 steht der EZB, den nationalen Zentralbanken sowie den teilnehmenden Geschäftsbanken und weiteren Teilnehmern mit TARGET2 ein Zahlungssystem zur Verfügung, in dem kontinuierlich Zahlungen mit sofortiger Ausführung abgewickelt werden können. TARGET2 ist die größte Plattform für Individualzahlungen in Europa und wird von der Banca d’Italia, der Banque de France und der Deutschen Bundesbank bereitgestellt. Innerhalb der angebundenen Länder gibt es eine Fülle von nationalen Systemen, die weitestgehend vereinheitlicht von den jeweiligen Zentralbanken bereitgestellt werden und an TARGET2 angebunden sind.

Neben TARGET2 stellen die Betreiber die Dienste TARGET2-Securities (T2S), zur Abwicklung von Zahlungen aus Wertpapieren, und TIPS (TARGET Instant Payment Settlement) für Individualzahlungen in Echtzeit zwischen Unternehmen und Privatpersonen bereit.

 

2. Was ist TARGET2/ T2S-Konsolidierung 

Neben der technischen Migration von TARGET2 nach T2, der gemeinsamen Plattform für T2, T2S und TIPS, erfolgte auch eine Vereinheitlichung der Verfahren. So wird zukünftig auch T2 nicht mehr die sogenannten Message Types (MT) nutzen, sondern auf ISO 20022 (MX-Nachrichten, die XML basiert sind) umstellen, sodass mehr Informationen gesendet werden können. MT ist ein standardisierter Nachrichtentyp zur Verwendung im Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication-Netzwerk (SWIFT), um die Geschäftstransaktionen von SWIFT-Benutzern zu unterstützen. ISO 20022 ist ein zukunftssicherer Nachrichtenstandard, der international genutzt wird. T2S und TIPS nutzen schon heute diesen Nachrichtentyp. Zeitgleich mit der EZB stellt auch SWIFT seine Zahlungssysteme auf den neuen Standard um. Um den Beteiligten Doppelarbeit zu ersparen, erfolgten die Terminverschiebung in enger Abstimmung und im Gleichlauf mit SWIFT.gg117967678

Weiterhin wird der Zugang zum System vereinheitlicht. Den Teilnehmern steht mit ESMIG (Eurosystem Single Market Infrastructure Gateway) ein zentraler Zugangspunkt für alle Systeme zur Verfügung. Der Zugang ist nicht an einen Anbieter gebunden, d.h. der Teilnehmer kann selbst entscheiden, welchen zugelassenen Netzwerkanbieter er für den Zugang nutzt. Derzeit stehen SWIFT und SIA-Colt zur Verfügung. Die Kommunikation kann dabei sowohl Application-to-Application (A2A-Modus) oder über eine GUI User-to-Application (U2A-Modus) erfolgen.

Im Rahmen der TARGET2/T2S-Konsolidierung wird auch die Kontenstruktur bei der Zentralbank und damit das Liquiditätsmanagement umgestellt. Jeder Teilnehmer unterhält einen Main Cash Account (MCA), über den alle Zentralbankoperationen abgewickelt werden. Dies umfasst Offenmarktgeschäfte, die Nutzung der ständigen Fazilitäten sowie die Haltung der Mindestreserve und Anbindung der Kreditlinie. Der Individualzahlungsverkehr wird durch den Dedicated Cash Account (DCA) abgewickelt, der im Real Time Gross Settlement (RTGS) geführt wird, so dass die heute bestehenden Payments Module (PM) und Home Account Module (HAM-Konten) nicht mehr notwendig sind.
Hierdurch sind Zentralbankoperationen und übriges Geschäft in Zukunft getrennt. Die Versorgung der DCA mit Liquidität erfolgt über den MCA. Zur Unterstützung der Teilnehmer wird ihnen ein zentrales Liquiditätsmanagement (Central Liquidity Management - CLM) zur Verfügung gestellt, in welchem die Maßnahmen auch automatisiert werden können.

Der Beginn der TARGET2/T2S-Konsolidierung wurde auf den 6. Dezember 2017 gelegt, die Inbetriebnahme war für den November 2021 vorgesehen. Aufgrund von Problemen in der Projektphase und vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie wurde das Projekt in zwei Schritten bis zum 20. März 2023 verlängert. Das so genannte Konsortium der „4ZB“ – Banca d’Italia, Banco de España, Banque de France und Deutsche Bundesbank – entwickelt und betreibt die Plattform zukünftig.

 

3. Herausforderungen 

Trotz der zweiten Verschiebung des produktiven Einsatztermins stehen die Teilnehmer der T2/T2S–Konsolidierung vor großen Herausforderungen.

Die Umstellung ist für einen europaweiten „Big Bang“ an einem Stichtag vorgesehen. Verschärfend kommt hinzu, dass es keinen sinnvollen Fallback gibt, falls am Migrationswochenende etwas schief gehen sollte, da alle umstellenden Teilnehmer ihre System- und Datenänderungen rückgängig machen müssten. Dies würde allein in Deutschland etwa 1.200 Institute betreffen. Dieses Umstellungsszenario birgt erhebliche Risiken. Fehler können einzelne Teilnehmer oder ganze Länder vom Zahlungsverkehr ausschließen. Die wirtschaftlichen Auswirkungen hiervon können nur schwer abgeschätzt werden.

Die EZB und die 4ZB versuchen daher, durch umfangreiche Tests im Vorfeld des Migrationswochenendes diese Risiken zu minimieren. Daneben werden so viele Migrationsschritte wie möglich und sinnvoll (z.B. Stammdatenmigration), vor das Migrationswochenende vorgezogen, um die Komplexität zu reduzieren. Probleme in diesen Tests haben im bisherigen Verlauf zur Verschiebung der Migration von November 2022 auf den 20. März 2023 geführt.

Die Komplexität der Migration wird vor allem durch folgende Faktoren getrieben:

  • Große Anzahl an Teilnehmern: Allein am deutschen Markt sind von der Konsolidierung eine große Zahl beteiligter Banken, Zentralbanken und sonstigen Teilnehmer betroffen. Etwa 1.200 Teilnehmer müssen in den eigenen Systemen Anpassungen vornehmen und diese am Migrationsstichtag produktiv nehmen.
  • Großes Geschäftsvolumen: Die große Anzahl an täglichen Zahlungen und das damit einhergehende hohe Geschäftsvolumen machen die Migration der Systeme kritisch. Die Prozesse und Systeme sind daher so zu designen, dass sie gegen externe Angreifer und Fehler sicher sind, einen hohen Grad an Verfügbarkeit besitzen und im Falle eines Fehlers schnell wiederhergestellt werden können.
  • Umstellung auf ISO 20022: Es erfolgt die Umstellung des Messageformates von SWIFT-MT auf ISO 20022. Diese Umstellung bedingt ein grundlegendes Neudesign der Zahlungsverkehrssysteme, da es sich um kein einfaches Mapping zwischen Message-Typen handelt.
  • Abhängigkeit zu SWIFT: Auch SWIFT stellt aktuell die Messagetypen von MT auf ISO 20022 um. Um unnötige und zusätzliche Komplexität zu vermeiden, wird diese Umstellung parallel mit der TARGET2/T2S-Migration geplant. Am Wochenende selbst erhöht dies jedoch noch einmal den Umstellungsaufwand.

Diesen Herausforderungen muss und hat sich jede Bank gestellt, um auch zukünftig am Markt teilnehmen zu können.

Trotz aller Tests und aller Sorgfalt der Teilnehmer werden sich Probleme aufgrund der beschriebenen Komplexität nicht vermeiden lassen. Ziel muss es sein, die wirtschaftlichen Auswirkungen hieraus so gering wie möglich zu halten. Hierzu sind vor, am und nach dem Migrationswochenende technische und fachliche Ressourcen vorzuhalten, um schnell reaktionsfähig zu sein.

Wenn wir Sie bei dem Thema TARGET2 in Ihrem Unternehmen unterstützen können, wenden Sie sich gern direkt an uns. 

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Doreen Wangard
Autor:in: Doreen Wangard
Doreen arbeitet bei der BBHT Beratungsgesellschaft in Frankfurt am Main. Mit ihren umfangreichen Erfahrungen auf der Finanzwirtschaft bringt sie ein tiefes Verständnis für die komplexen Herausforderungen dieser Branche mit. Ihre Rollen als Projektmanagerin, Qualitätsmanagerin, Agile Coach und Scrum Master zeugen von ihrer breiten Expertise und ihrer Fähigkeit, vielfältige Aufgaben und Teams zu leiten. Doreens Fokus liegt auf der Förderung von Agilität und Qualität in ihren Projekten, wodurch sie einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg der BBHT und ihrer Kunden leistet. Ihre langjährige Erfahrung bringt sie seit April 2022 in die Projekte unserer Kunden ein.

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